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ob der Weg in den Garten über den Ausgang vorn oder hinten führte. Schon war ein Passagier bei ihm und versuchte ihn auf den Sitz zu zwingen. - Lassen Sie mich! Ich bin den ganzen Tag noch nicht im Garten gewesen! Die Äpfel, ich muß dringend nach den Äpfeln sehn! Was fällt Ihnen ein, sich an einem Offizier zu vergreifen, Sie! So schimpfte er, immer leiser. Zu dritt schafften sie es, den Alten zur Ruhe zu bringen. Zwei Tage noch. Die Alten werden es nicht aushaken. Die Kinder nicht. Ingeborg Wendland nicht. Und ob ich es packen werde, ob ich die Fassung bewahren konnte, und wie lange, wußte ich noch weniger. Ich versuchte, diese Fragen wegzuschieben und mir Mut einzureden. Zwei Tage, das ist doch vernünftig, da hat die Regierung Zeit, alles zu überlegen, da können sie die Leute aus den Gefängnissen zusammenholen und den Austausch ohne Hektik organisieren, es ist alles in Ordnung, es wird alles wieder in Ordnung kommen, besser zwei Tage als ein Tag, an einem Tag schaffen sie das nie. Also stell dich ein auf zwei Tage, Stunden zwei mal vierundzwanzig, Minuten nicht zu zählen, Sekunden vergehen sowieso von allein, eine nach der ändern, schon wieder rauschen die Sekunden weg, zähl die Sekunden ab, wenns dir zu lang dauert, irgendwann werden die Sekunden abgelaufen sein, irgendwann ist das Ultimatum erfüllt, irgendwann wirst du endlich raus können. Halte dich an die Sekunden, wenn du sonst nichts findest, schiebe die Sekunden weg, bis sie zu Minuten werden, häufe dir die Minuten zusammen, die Stunden, irgendwann wird es ein halber Tag, dann ein Tag, dann zwei Tage, und du bist frei - und kannst wieder in den Garten gehn, wie gestern, vorgestern, am Tag vor gestern, wie viele Jahrzehnte lag das zurück? Die berühmten Gärten von Alfabia, am zweitletzten Tag, bei eher wolkigem Wetter die Fahrt mit dem Bus über Land, durch die Berge, ich finde mich auf schmalen Alleen laufend, die scheckige Schale an den Stämmen der Ahornbäume betrachtend, die Erholung vom stumpfsinnigen Hotel- und Strandleben ist sofort zu spüren, ich wandere unter dem altgewordenen, herbstlich braundunklen Grün, tauche durch flockige Schatten. Im alten Torbogen die auffälligen arabischen Schriftzeichen, der Reiseführer liefert sogar eine Übersetzung, immer wieder Allah, im Sinne von Allah ist groß, alles kommt von Allah und Allah sei Dank für alles. Vor drei Tagen, jederzeit, ja, ich kann jetzt zwei, drei Stunden durch den Park schlendern, mich abseits von den Wegen halten, auf denen die meisten Besucher flanieren, habe die Wahl zwischen breit ausladenden und kleineren Treppen, zwischen exotischen und weniger exotischen Pflanzen. Was ist dir lieber, die Olivenbäume oder die Eukalyptusbäume oder die Palmen, ziehst du die Rasenflä- chen vor oder die Lauben mit Brünnchen? Und da, die Entdeckung von Alfabia, zwischen den Sträuchern, in der unscheinbarsten Ecke, eine Abart des ordinären mitteleuropäischen Springkrauts, mein Springkraut, die erste Proseminararbeit in Biologie über das Springkraut, eine Untersuchung über die Schleuderbewegungen seiner Früchte, die bei leichter Berührung an den vorgebildeten Nahtstellen aufreißen und ihre Samen in die Umgebung werfen, eins der lustigsten Gewächse, beliebt seit Kinderzeiten, vor sechs Jahren hat es mein Interesse für die Reiz-, Sinnes- und Nervenphysiologie bei Pflanzen und Tieren angestiftet. Und was tut die Biologin, die Zoologin Andrea Boländer nach ihrer glücklichen Entdeckung? Sie legt sich einfach ins Gras unter die Akazien und vergißt ihr Interesse für Gärten, Pflanzen und die Reizphysiologie, sie denkt nicht einmal an die Kiefernspanner, die in Tübingen warten, sie träumt, bis ein Wärter sie hochscheucht, sie möchte das riesige Areal der Gärten für sich allein haben oder für sich und den Freund, die vielen Menschen stören, die beflissen neugierig herumlaufen und grobe deutsche Laute, manchmal auch Englisches ausstoßen. Dabei ist sie gar nicht auf Einsamkeit aus, sie fühlt sich einfach wohl in diesen kunstvollen Gärten, sie will sie nicht bewundern müssen oder an die Gesten der Bewunderung erinnert werden. Ein letztes Bad im Grünen vor dem kommenden, zu Hause schon drohenden Winter. - Come on, come with me! You, come on! Ein Befehl, von einem der beiden Entführermädchen ein paar Reihen hinter mir gesprochen, stach plötzlich aus allen Geräuschen heraus. Ich öffnete die Augen, sah Nummer 31 eine Frau in einer blauen Hose durch die Kabine treiben bis hinter den Vorhang zur Ersten Klasse. Alle Gespräche brachen ab, alles Wispern und Flüstern. Ich versuchte, meine Empfindungen von Alfabia nicht zu verlieren, sie wachzuhalten, zu retten, allein für mich. Die Luftdüsen pfiffen auf der immer gleichen Frequenz, und ich zwang mich, auf den gewundenen und geraden Wegen der Gärten zu bleiben, dachte mir neue Pfade und Querverbindungen aus, schritt frisch gepflanzte und schon fertige, prächtige Ahornalleen ab, ließ das exotische Pflanzenwerk schneller und weiter wachsen, bis ich mich dahinter verstecken konnte, baute neue Lauben hinzu, zog die wegbegrenzenden Büsche höher und ließ die Gärten zu wuchernden, ungepflegten Labyrinthen aufblühen, in denen ich mich zu verlieren suchte und die ich brauchte gegen die verrückte Lage, in der ich mich befand. Es wurde gebrüllt, die Stimme des Anführers tobte wieder los. Er schrie die Frau an. Was sie antwortete, war nicht zu verstehen. Ich will jetzt in den Garten!, schrie ich und sog den frischen Geruch der Blätter auf und die Geräusche des plätschernden Brunnenwassers und hörte den Kies, wie er knirschend gegen die Schuhe protestierte. Wieder das harte Klatschen eines Schlags in ein Gesicht. Ich hielt die Augen geschlossen, die Arme verschränkt und log mir das ängstliche Wispern der Passagiere in Laubgeraschel um. Die heisere Brüllstimme wurde von Wimmern unterbrochen. Dann kam der selbsternannte Captain durch die Kabine gestürmt, polterte bis nach hinten, wir drehten uns vorsichtig um, es wurde ganz still. — Are you jewish? Are you jewish? Die Frage wurde übersetzt. Eine Kinderstimme sagte: - Nein. Jassid stapfte wütend durch den Gang, ohne nach rechts und links zu blicken. Er brüllte hinter dem Vorhang weiter, schlug aber nicht mehr. Ich lief davon, rannte durch meinen Park, und lief und lief, denn ich brauchte die Bewegung und konnte mir einbilden, die Starre der Glieder löse sich und das Laufen bringe mich aus der Todesgefahr heraus und dem Leben wieder näher, und so lief ich fort, und die Flucht gelang, zumindest für Sekunden. Bald kam die Frau hervor, zitternd, taumelnd, auf die Kopflehnen gestützt ging sie nach hinten, den Blick starr auf ihr Kind gerichtet, ohne Interesse für die eher überraschten als mitleidigen Passagiere. Die tückische, gemeine, rücksichtslose Piratin mit der Nummer 31 erschien mit einem grünen Reisepaß in der Hand und ging, jedes Gesicht genau musternd, durch die Reihen. Zuerst war ich ganz sicher, daß sie es auf mich nicht abgesehen hatte. Dann fühlte ich den Schweiß in der Hand. Ich dachte, Ingeborg ist schuld, Ingeborg mit ihrer blöden Formulierung vom Hals umdrehn! Sie blickte starr geradeaus, als das Biest zu unserer Reihe kam, merkte dann aber, daß sie sich dadurch eher verdächtig und damit zum Opfer machte, und drehte der Entführerin das Gesicht zu. Auch ich
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